Mit Kindern in Entwicklungsländer reisenArmut, Bettler, Leid: wie gehen Kinder damit auf Reisen um?

Auf Reisen werden Kinder früher oder später auch mit Armut konfrontiert. Wie gehen wir Eltern damit um? Warum es unserer Ansicht nach absolut legitim ist, mit Kindern in ärmere Länder zu reisen, und wie ihr als Familie mit Armut umgehen könnt.

von KidsAway-Redaktion


Nepal: Kindliche Lebensfreude findet man auch in den ärmsten Ländern © Susanne Frank

Nepal: Kindliche Lebensfreude findet man auch in den ärmsten Ländern

© Susanne Frank

Viele Eltern fragen sich bei der Reiseplanung, ob sie ihren Kindern die Konfrontation mit Armut zumuten wollen.

Manche vermeiden solche Reiseziele bewusst, so lange die Kinder noch klein sind. Dabei spielt oft die Angst vor unzureichender medizinischer Versorgung oder schlechter Infrastruktur eine Rolle. Eltern befürchten aber auch, in Erklärungsnöte zu geraten oder ihre Kinder durch den Anblick von Armut zu traumatisieren.

Dennoch spricht vieles dafür, mit Kindern auch solche Länder zu bereisen, in denen ein deutlich niedrigerer Lebensstandard herrscht als bei uns.

 

Warum überhaupt in „arme Länder“ reisen?

Zunächst einmal gehört die Mehrzahl aller weltweiten Reiseziele zur sogenannten Zweiten oder Dritten Welt. Wer also die Konfrontation mit jeglicher Form von Armut vermeiden möchte, dem bleiben außerhalb Europas eigentlich nur die USA , Kanada, Japan, Singapur, Australien und Neuseeland als Reiseziele.

Viele familienfreundliche Urlaubsparadiese (zum Beispiel Thailand, Bali, Sri Lanka und die meisten Karibikstaaten) gehören zu den Entwicklungsländern, in denen Armut omnipräsent ist.

Aber auch an so manchem vermeintlich „wohlhabenden“ Reiseziel werden eure Kinder soziale Missstände zu sehen bekommen, die sie von zu Hause nicht gewohnt sind. Seien es die ärmlichen Trailerparks, trostlose Indianerreservate und Obdachlose in den USA oder die von niemandem beachteten, betrunkenen Aborigines in vielen australischen Städten: Es ist außerhalb von Nord- und Mitteleuropa ein schwieriges Unterfangen, Armut komplett aus dem Weg zu gehen.

Selbst in der Türkei, Griechenland oder Süditalien können Kinder ärmliche Lebensumstände zu sehen bekommen, die vielleicht sogar umso schockierender wirken, da man sie dort weniger erwartet. Die Grenzen zwischen „armen“ und „reichen“ Ländern sind also fließender, als man oft denkt.

Neben der eingeschränkten Wahl an Reisezielen spricht aber noch mehr gegen eine „Armut-Vermeidungsstrategie“ bei der Reiseplanung:

Viele Entwicklungsländer sind nicht nur touristisch sehr attraktiv und kinderfreundlich, sie bieten Familien auch meist ein deutlich besseres Preis-Leistungs-Verhältnis. Für viele Eltern sind Fernreisen mit ihren Kindern überhaupt nur möglich, wenn sie in Länder mit niedrigerem Durchschnittseinkommen und entsprechend niedrigeren Lebenshaltungskosten führen.

Wer hier nun gleich an Ausbeutung denkt, der vergisst, welch ein entscheidender Wirtschaftsfaktor der Tourismus in vielen dieser Länder darstellt.

 

ErfahrungsberichtVor allem individualreisende Familien, die ihr Geld im Land statt beim Veranstalter lassen, helfen der einheimischen Wirtschaft.

 

Diesen Zusammenhang verstehen auch jüngere Kinder schon. Je älter Kinder werden, desto wichtiger wird es außerdem, ihnen ein realistisches Weltbild zu vermitteln. Auf Reisen lernen sie anschaulicher als in jedem Klassenzimmer, was soziale Ungerechtigkeit ist. Wer mit eigenen Augen gesehen hat, wie der Großteil der Weltbevölkerung lebt, der wird den eigenen Wohlstand nicht mehr für selbstverständlich nehmen.

Reisen kann enorm zur Ausbildung eines sozialen Bewusstseins bei Kindern beitragen.

Selbst für Kleinkinder kann es bereits lehrreich sein zu sehen, dass ihre Altersgenossen anderswo mit so viel weniger auskommen müssen: ein wichtiges Gegengewicht gegen die materialistische Konsumgesellschaft, in der unsere Kinder aufwachsen.

Diese Erfahrung wird noch verstärkt durch die Tatsache, dass in vielen Kulturen auch in den ärmlichsten Verhältnissen eine größere Lebensfreude und mehr Gastfreundschaft herrschen als bei uns. So lernen Kinder nicht nur den eigenen „Reichtum“ mehr zu schätzen, sondern auch, dass Glück nicht allein von materiellem Wohlstand abhängt.

 

Wo und wie ihr auf Reisen Armut begegnen könnt

Indien: Jedes Kind freut sich über kleine Geschenke und ein nettes Gespräch © Susanne Frank

Indien: Jedes Kind freut sich über kleine Geschenke und ein nettes Gespräch

© Susanne Frank

Dies vorausgeschickt, kann die Konfrontation mit Armut für Kinder natürlich belastend oder gar schockierend sein.

Armut tritt in unterschiedlichen Kulturen auch unterschiedlich in Erscheinung. Es gibt Reiseländer, in denen man auf den üblichen Touristenpfaden die ärmeren Bevölkerungsschichten wenig bis gar nicht zu sehen bekommt, wenn man das nicht möchte – etwa in Südafrika oder (noch extremer) auf den Malediven.

Auch in vielen asiatischen Urlaubsländern sieht man eher wenige Bettler, und ärmliche Stadtviertel werdet ihr mit euren Kindern wahrscheinlich ohnehin nicht aufsuchen.

In Lateinamerika tritt dagegen besonders die Kinderarbeit deutlich in Erscheinung. Die Städte sind hier voller kleiner Verkäufer und Schuhputzer, manche von ihnen erst vier oder fünf Jahre alt.

Einen absoluten Extremfall, was die Sichtbarkeit von Armut angeht, stellt Indien dar, vor allem die nördliche Landeshälfte. Hier müsst ihr damit rechnen, permanent und teilweise aggressiv von Bettlern angegangen zu werden, oft sind das Frauen mit Babys.

Der Anblick von zerlumpten Alten, Kranken und Kindern, die, von niemandem beachtet, auf den Straßen liegen und schlafen, kann nicht nur auf Kinder traumatisch wirken. Auch Menschen ohne Beine, die sich auf Rollbrettern oder kriechend fortbewegen, schocken mit Sicherheit jedes europäische Kind. Hier muss jeder selbst entscheiden, ob er dies seinen Kindern zumuten kann oder möchte.

 

TippIn vielen Städten liegen die ärmlichsten Viertel rund um den Flughafen, so dass ihr schon beim Landeanflug oder spätestens bei der Fahrt in die Stadt auf Fragen eurer Kinder gefasst sein müsst.

 

Eltern sollten sich im Vorfeld einer Reise also gut informieren, mit welchen Erscheinungsformen von Armut sie in ihrem Reiseland rechnen müssen. Die Erfahrungen anderer reisender Familien sind dabei oft hilfreicher als Reiseführer, die ihren Fokus gern auf die schönen Seiten eines Landes legen.

Je jünger eure Kinder sind, desto eher werdet ihr euch wohl für ein Reiseziel entscheiden, an dem sie keine allzu belastenden Dinge zu sehen bekommen. Durch geschickte Reiseplanung könnt ihr eure Kinder auch einigermaßen sanft an das Thema Armut heranführen.

 

Wie nehmen Kinder Armut wahr?

Wer schon mit seiner Familie in Entwicklungsländern unterwegs war, der hat wahrscheinlich die Erfahrung gemacht, dass vor allem jüngere Kinder weniger schockiert auf Armut reagieren als erwartet. Oftmals scheinen sie die harten Lebensumstände der Einheimischen gar nicht wahr zu nehmen.

Das liegt zum einen daran, dass sich Armut (vor allem in Asien) oft hinter einem gepflegten Äußeren und erstaunlicher Lebensfreude verbirgt. Zum anderen bewerten kleine Kinder Dinge wie zerrissene Kleidung, Schmutz oder einfache Behausungen weniger tragisch als Erwachsene. Die meisten gehen auf ärmlich gekleidete Altersgenossen genauso unbefangen zu wie auf ihre Spielkameraden zu Hause.

Selbst Kinderarbeit wird nicht unbedingt als solche erkannt. Als kleiner Verkäufer mit einem Bauchladen voller Süßigkeiten durch die Stadt zu laufen, kann einem vierjährigen Europäer wie ein interessantes Spiel erscheinen.

Je jünger eure Kinder sind, desto eher werdet ihr sie wahrscheinlich in dieser unschuldigen Weltsicht belassen wollen.

Etwa ab dem Schulalter wird das nicht mehr so einfach sein. Schwieriger wird es für euch außerdem dort, wo Bettelei weit verbreitet ist, also vor allem in Indien, Lateinamerika und Afrika. Diese wird von Kindern aller Altersgruppen wahrgenommen und bringt euch früher oder später in Erklärungsnöte und Handlungszwang.

 

Wie kann man als Familie mit Armut auf Reisen umgehen?

Ecuador: Der Armut der Indigenas kann man in Lateinamerika nicht entgehen © Susanne Frank

Ecuador: Der Armut der Indigenas kann man in Lateinamerika nicht entgehen

© Susanne Frank

Müsst ihr an eurem Reiseziel verstärkt mit Bettelei rechnen, solltet ihr euch bereits im Vorfeld eine Strategie zurechtlegen und diese mit euren Kindern (altersangemessen) besprechen.

Je jünger Kinder sind, desto weniger verstehen sie, warum ihr nicht einfach jedem Bettler etwas von eurem Reichtum abgeben könnt. Die meisten verfügen über ein erstaunliches Maß an Empathie und möchten instinktiv helfen, vor allem, wenn es sich um andere Kinder handelt. Als Eltern gerät man daher besonders in Versuchung, zur Beruhigung der Kinder (und oft auch des eigenen Gewissens) schnell etwas zu geben.

Leider ist dies in den seltensten Fällen eine gute Idee. Gerade Kinder müssen das erbettelte oder erarbeitete Geld fast immer abgeben. Mancherorts werden sie zum Betteln vermietet oder gar entführt. Je mehr ein Kind beim Betteln oder durch Kinderarbeit verdient, desto geringer die Wahrscheinlichkeit, dass es in die Schule geschickt wird.

Man kann also durch Almosen mitverantwortlich dafür sein, dass einem Kind die Aussicht auf ein besseres Leben genommen wird.

 

ErfahrungsberichtAlle Experten sind sich einig, dass wirkliche Hilfe nur nachhaltig und langfristig sein kann. Nur in absoluten Ausnahmefällen kann es sinnvoll sein, Geld zu geben, etwa bei behinderten oder alten Menschen in Gesellschaften ohne soziales Fangnetz.

 

Dies alles kann man Kindern ab vier oder fünf Jahren begreiflich machen, am besten schon im Vorfeld der Reise, um hastige Diskussionen auf der Straße zu vermeiden. Haltet eure Kinder aber auch dazu an, freundlich mit Bettlern umzugehen, die sich ihre Lebensumstände ja nicht ausgesucht haben. Am stärksten wirkt dabei wie immer das eigene Vorbild.

Wenn ihr der Landessprache mächtig seid, spricht auch nichts gegen ein Gespräch mit der bettelnden Person, bei dem man viel Erhellendes über deren Lebensumstände erfahren kann.

Überhaupt nicht zu helfen, ist für die meisten Familien allerdings keine befriedigende Lösung. Auch wenn sie durch ihre Reise schon einen gewissen Beitrag für die Wirtschaft des Landes leisten, haben viele Eltern das Bedürfnis, direkt und für ihre Kinder sichtbar Hilfe zu leisten.

Schließlich sind wir die wichtigsten moralischen Vorbilder für unsere Kinder. Durch unseren Umgang mit der Armut in der Welt können wir eine entscheidende Grundlage für ihre soziale und moralische Entwicklung legen.

 

Wie kann man sich als reisende Familie sinnvoll und kindgerecht gegen Armut engagieren?

Indien: Stifte sind bei Kindern heißbegehrt © Susanne Frank

Indien: Stifte sind bei Kindern heißbegehrt

© Susanne Frank

Vor Ort sind eure Möglichkeiten relativ eingeschränkt.

Vielleicht möchten eure Kinder ihren ärmeren Altersgenossen etwas von ihren Spielsachen schenken. Manchen Kindern ist dies ein regelrechtes Bedürfnis. Auch wenn dadurch natürlich keine Armut gelindert wird, kann Schenken doch eine nette Geste der Völkerverständigung sein und birgt weniger Risiken als das Geldgeben.

Achtet aber darauf, keine überteuerten oder im Land unüblichen Gegenstände zu verschenken, die Neid schüren und Erwartungshaltungen wecken können. Alles, was schnell kaputt geht oder Nebenkosten (zum Beispiel in Form von Batterien oder Strom) verursacht, ist ungeeignet, also auch jegliches elektronisches Spielzeug.

Sinnvolle Geschenke für einheimische Kinder sind gute Holzmalstifte, Puppen, Stofftiere oder Bilderbücher. Auch Kleidung wird meist dankbar angenommen.

Idealerweise geschieht dieses Schenken nicht gönnerhaft im Vorbeigehen, sondern im Rahmen eines freundlichen Gesprächs oder eines gemeinsamen Spiels mit euren Kindern. So lernen Kinder, nicht von oben herab zu geben und jeden Menschen mit dem gleichen Respekt zu behandeln.

An sehr touristischen Orten kann das allerdings schwierig werden. Dort werden Geschenke manchmal auf fast schon aggressive Weise eingefordert. „Un regalo! Un regalo!“ („Ein Geschenk, ein Geschenk!“), tönt es Lateinamerika-Reisenden auf dem „Gringo-Trail“ allerorten entgegen. Und in Indien wird man oft von einer derart großen Anzahl Kinder bedrängt, dass man nie genug Geschenke parat haben kann. Die allseits beliebten (und gut transportablen) Stifte werden einem förmlich aus der Hand gerissen.

Spätestens dann stellt sich die Frage, wie sich sinnvoller und nachhaltiger helfen lässt.

Sich mit Kindern in Hilfsprojekten vor Ort zu engagieren, erfordert Zeit und Planungsaufwand und kommt wohl nur für Langzeitreisende mit älteren Kindern in Betracht. Man sollte sich dabei im Vorfeld gut informieren und abwägen, ob das Bedürfnis, seinen Kindern eine lehrreiche Erfahrung zu verschaffen, in einem sinnvollen Verhältnis zur tatsächlich leistbaren Hilfe steht.

Andererseits kann die gemeinsame Freiwilligenarbeit den Familienzusammenhalt und die Sozialkompetenz von Heranwachsenden enorm stärken. Viele Informationen zum Volunteering mit Kindern findet ihr auf der Seite Freiwilligenarbeit.de.

Am sinnvollsten hilft man seinem Reiseland unterm Strich sicherlich durch die finanzielle Unterstützung einer Entwicklungshilfeorganisation. Habt ihr das schon im Vorfeld einer geplanten Reise organisiert, könnt ihr eure Kinder bei der Begegnung mit Armut vor Ort darauf verweisen.

Aber auch im Nachhinein macht ein solches Engagement moralisch und pädagogisch viel Sinn: Jetzt, wo wir alle gesehen haben, wie schwer es die Menschen dort haben, wollen wir ihnen langfristig helfen. Dabei ist es für Kinder anschaulicher, wenn ein Projekt im konkreten Reiseland unterstützt wird (vielleicht sogar eines, das ihr selbst dort entdeckt habt?).

Manchen kleineren Kindern mit ihrem direkten Drang zum Helfen wird dies immer noch zu abstrakt sein.

 

TippDie perfekten Hilfsorganisationen für Familien sind solche, bei denen man ein „eigenes“ Patenkind unterstützt, mit Fotos und mit regelmäßigen Updates zu dessen Entwickung.

 

Eure Kinder können „ihrem“ Patenkind schreiben oder es sogar besuchen. Die älteste und größte Organisation dieser Art sind die SOS-Kinderdörfer, bei denen man für 31 Euro im Monat einem Kind Schulbildung und das sichere Aufwachsen in einem SOS-Kinderdorf ermöglicht. Das Herkunftsland ist dabei wählbar, lässt sich also auf eure Reisepläne abstimmen.

Zwar werden sich die wenigsten Familien für jede Reise ein eigenes Patenkind organisieren. Aber gerade für Familien, die zum ersten Mal ein ärmeres Land bereisen, ist das eine wunderbare Möglichkeit, sich dort konkret zu engagieren.

Für welche Form der Hilfe ihr euch auch entscheidet: Das gemeinsame Reisen in ärmere Länder bietet euch nicht nur die Chance, den Horizont eurer Kinder enorm zu erweitern. Es kann auch helfen, sie zu sozial verantwortlichen und emphatischen Menschen zu erziehen.

 

Welche Erfahrungen habt ihr mit Armut auf Reisen schon gemacht? Wie gehen eure Kinder und ihr damit um?

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