KidsAway-FamilieninterviewMit Kleinkind unterwegs quer durch Europa und Asien: in der Welt zu Hause
Stefan, Jennay und Annabelle sind inzwischen ein eingespieltes Team – seit Juli 2013 fahren sie in ihrem umgebauten Sprinter der Sonne entgegen, auf der Suche nach neuen Abenteuern. Wir haben sie um eine Zwischenbilanz gebeten.
von KidsAway-Redaktion
Die Reisefamilie vor ihrem Sprinter
© theworldisourbackyard.blogspot.de
Wer seid ihr und was bewegte euch zu eurer großen Reise?
Wir, das sind Jennay (27), Stefan (33) und Annabelle (2). Schon vor der Geburt unserer Tochter waren wir sehr abenteuerlustig und liebten es zu reisen. Während der Schwangerschaft waren wir sieben Monate im Outback von Australien unterwegs und als Annabelle ein halbes Jahr alt war, sind wir für mehrere Wochen mit einem Wohnmobil durch Südflorida gefahren.
Um die Zeit von Annabelles größten Entwicklungen noch intensiver erleben zu können, entschieden wir uns, eine einjährige Auszeit zu nehmen und die Welt zu bereisen.
Das klingt, als hättet ihr schon ordentlich Erfahrung. Wie viel Vorbereitung war denn für die Weltreise noch nötig?
Die (geplante) Reiseroute
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Dann entschieden wir uns doch für die bis dahin als zu gefährlich abgestempelte Route über Russland, Kasachstan und China bis nach Südostasien. Wir wollten uns von den zahlreichen Bedenken anderer nicht einschüchtern lassen und unser Kind nicht als Hindernis für eine Reise sondern als Bereicherung und Chance für die Völkerverständigung sehen.
Die letzten Wochen waren dadurch sehr stressig, da viele Dinge erledigt werden mussten: Auszug aus der Wohnung, Einlagerung des Hausrats, Besorgung notwendiger Visa und vieles mehr.
Zusätzlich haben wir bereits acht Monate vor der Reise viel Zeit in die Suche nach einem geeigneten Fahrzeug investiert, da das Angebot an familientauglichen Expeditionsmobilen extrem gering ist.
Wie ist es, so lange Zeit unterwegs zu sein – für euch, aber auch für Annabelle?
Wunderbar! Am Anfang brauchten wir zwölf Stunden für die Strecke von Köln nach Berlin und mussten viel Geschrei und Wutausbrüche aushalten, doch nach einiger Zeit gewöhnte Annabelle sich an den neuen Lebensstil und genoss die Aufmerksamkeit beider Elternteile. Sie wurde ruhiger, gelassener und ist inzwischen zu einem richtigen Reisekind mutiert. Wir versuchen nach wie vor, Annabelles Schlafphasen zum Fahren zu benutzen.
Auch wir mussten uns an die neue Situation erst gewöhnen! Für Stefan, der sich schon immer intensiv mit ihr beschäftigte, war es eine große Umstellung, seine Tochter 24 Stunden am Tag um sich zu haben. Dadurch intensivierte sich aber auch das Verhältnis zwischen ihnen und steht mittlerweile der Beziehung zwischen Mutter und Tochter in nichts nach. Außerdem ist es für Stefan toll, die Entwicklungsschritte von Annabelle live mitzuerleben, anstatt abends davon erzählt zu bekommen.
Was habt ihr an Spielzeug für Annabelle dabei, und wie viel Gepäck ist überhaupt im Sprinter verstaut?
Annabelle hat zwei Spielzeugkisten mit diversen Kleinteilen wie Münzen, Sammelbildern, Fotos von Familienangehörigen, Spielfiguren und Bällen, die sie mit Hingabe über Stunden sortieren kann. Zusätzlich haben wir noch ein Bobbycar, einen klappbaren Puppenwagen, Malkreide und einige Bücher dabei.
Beim restlichen Gepäck haben wir uns, so gut es geht, eingeschränkt und nur das mitgenommen, was wirklich benötigt wird. Lebensmittel, Werkzeug und Wasservorräte nehmen schon eine Menge Platz ein. Trotzdem muss man immer darauf achten, wie und wo man Dinge verstaut, denn der Platz ist sehr begrenzt. Aufräumen gleicht oft einem Puzzlespiel.
Was macht Annabelle, wenn ihr fahrt, wie beschäftigt ihr sie? Vermisst sie gleichaltrige Spielgefährten?
Steppenkind
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Überall wo wir hinkommen, treffen wir Kinder, mit denen sie im Sand (oder im Dreck) spielt und ihr Spielzeug teilt. Am Anfang unserer Reise war die Kontaktaufnahme mit fremden Kindern noch eher zaghaft, aber inzwischen geht sie meist selbstbewusst mit einem „Hello“ auf die Kinder zu. Durch die teilweise sehr langen Fahretappen hat Annabelle außerdem gelernt, ruhig zu sitzen, daher können wir sie jetzt auch auf Kajak-Touren mitnehmen.
Ihr wart ja auf eurer Reise in extrem „exotischen“ Ländern unterwegs – wie ist es denn zum Beispiel in Kasachstan so, besonders als reisende Familie?
Wir sind überwältigt von der Gastfreundschaft der Menschen; und das nicht erst in Kasachstan. Auch Polen, die Ukraine und Russland haben uns extrem positiv überrascht. Wir haben dort keinerlei negative Erfahrungen gemacht, auch wenn uns sehr viele vor diesen Ländern teilweise eindringlich gewarnt hatten.
Annabelle fungierte als Eisbrecher und stellte den Kontakt zu anderen Kindern oder ganzen Familien her. Es verging fast kein Tag, an dem wir nicht beschenkt oder nach Hause eingeladen wurden und das trotz extremer Sprachbarrieren (Englisch oder Deutsch wird vom Großteil der Bevölkerung nicht gesprochen). Die Menschen sind in der Regel wesentlich offener als in unserer Heimat und heißen einen gern willkommen oder helfen, ohne irgendwelche Gegenleistungen zu fordern. Wir hoffen, einen Teil dieser Freundlichkeit und Offenheit mit nach Deutschland zurückzubringen.
Gerade in Asien gelten ja zum Teil sehr strenge Visa-Regelungen. Habt ihr eure Reiseroute fest durchgeplant?
Wir haben ein entferntes Ziel vor Augen, aber wir entscheiden täglich neu, auf welchem Weg wir dorthin gelangen. Annabelle entscheidet mit ihren Launen und Schlafphasen als Routenplanerin unsere Rast- und Übernachtungsplätze. Das ist manchmal anstrengend, aber sehr spannend und überrascht uns immer wieder mit schönen Plätzen abseits der Touristenroute. Mal halten wir in kleinen Dörfern, mal an einem Bach, zu Silvester blieben wir einfach an einem traumhaften thailändischen Strand mitten im Nirgendwo stehen.
Was waren bisher die Höhepunkte eurer Reise?
Hoch zu Ross: ganz normal in Zentralasien
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In Kasachstan planschte Annabelle zusammen mit Kühen im knöcheltiefen, badewannenwarmen Wasser des Kaspischen Meers, buddelte mit den Kindern des Dorfes in riesigen Sanddünen und lief bis zum Horizont. Im Pferdeland Kirgistan machte Annabelle ihre ersten Reiterfahrungen und streichelte wilde Kamele.
In China kletterte sie Hunderte von Stufen auf der chinesischen Mauer empor, buddelte im Sand der Taklamakhan-Wüste und machte erste Erfahrungen im Umgang mit Stäbchen.
In den Bergdörfern von Laos kämpften wir uns tagelang durch den Matsch, gingen mit den partywütigen Backpackern auf dem Fluss Mekong „tuben“ und genossen die Stromschnellen im Kajak. In Thailand schaukelte Annabelle am weißen Sandstrand und verbrachte Weihnachten in einem Spieleparadies in Bangkok.
Auf welche Erlebnisse hättet ihr eher verzichten können?
Annabelle, eine Exotin für Chinesen
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Seid ihr bisher mit dem Verlauf eurer Reise zufrieden?
Eine unserer Erwartungen war, dass wir uns als Familie neu definieren. Dies hat sich schon nach kurzer Zeit erfüllt.
Eine andere Erwartung – sich von zeitraubenden Alltagsaufgaben zu befreien – ist leider nicht ganz eingetreten. Tätigkeiten wie Einkaufen, Kochen, Putzen und Aufräumen beanspruchen nach wie vor sehr viel Zeit.
Was wir nie erwartet hätten: dass es für Annabelle so wichtig ist, immer wieder in ihr gewohntes Umfeld in Form unseres Reisemobils zurückzukehren. Die Bedürfnisbefriedigung unserer Tochter ist weiterhin sehr zeitintensiv und obwohl wir jetzt ständig zu zweit sind, lässt es wenig Raum für freie Gedanken, besonders, da sie fast zeitgleich mit uns ins Bett geht und wieder aufsteht.
Eure Tipps sind gefragt: Wie finanziert man so eine lange Auszeit?
Bei einer Langzeitreise ist es entscheidend, die laufenden Kosten im Heimatland so niedrig wie möglich zu halten. Wir haben unsere Wohnung aufgegeben und unseren Hausrat eingelagert. Außerdem kündigten wir Versicherungen, die im Ausland sowieso keine Abdeckung garantieren (AGBs überprüfen!). In den letzten Jahren haben wir beim Abschluss von Verträgen (für Strom, Telefon, Internet) auf kurze Kündigungsfristen Wert gelegt, was die laufenden Kosten jetzt deutlich senkt.
In den zwei Jahren vor der Reise haben wir versucht, so viel Geld wie möglich zu sparen. Das hieß Second-Hand-Kleidung und gebrauchtes Spielzeug für Annabelle, eine kleine Wohnung ohne Kinderzimmer und so weiter.
Die laufenden Kosten auf der Reise kann man deutlich verringern, wenn man selbst im Fahrzeug kocht und übernachtet. Positiver Nebeneffekt, gerade in Asien: Der Hygienestandard kann selbst bestimmt werden.
Unser wichtigster Tipp: Lieber ein etwas teureres, gewartetes und in einem guten Zustand befindliches Reisefahrzeug erwerben, als hier zu sparen. Die Mehrkosten der Anschaffung machen sich beim Wiederverkauf bezahlt und auf der Reise sollten dann (hoffentlich!) geringere Reparatur- und Wartungsarbeiten die Reisekasse entlasten.
Würdet ihr so eine Reise anderen Familien empfehlen?
Einer von vielen Traumparkplätzen: in Thailand
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Unsere Reiseroute ist allerdings nicht für jedermann geeignet und nur eingeschränkt zu empfehlen. Jedes Land auf unserer Route hatte seine schönen Seiten, doch gibt es teilweise durchaus geeignetere Reiseziele für Kleinkinder. Gerade die vielen Glasscherben am Boden, die langen Distanzen und die nur selten vorhandenen Spielplätze in akzeptablem Zustand schränken die Kleinen doch in ihrer Bewegungsfreude ein. Nur Eltern mit viel Reiseerfahrung, die genug Zeit, Verhandlungsgeschick und vor allem Optimismus mitbringen, kann diese Reiseroute empfohlen werden.
Vorab sollte man sich fragen: Ist man bereit, 24 Stunden am Tag miteinander zu verbringen und auf Kinderbetreuung zu verzichten? Eine derartige Reise fordert oft eine gewisse Kompromissbereitschaft, den Verzicht auf gewohnte Annehmlichkeiten, eine gute Portion Optimismus und teilweise Nerven wie Drahtseile. Kann man sich damit anfreunden?
Wenn man bereit ist, diese Einschränkungen in Kauf zu nehmen, ist solch eine Reise eine große Chance.
Reist nicht nur für die Kinder, sondern für Erlebnisse, die euch als Familie zusammenschweißen! Die wichtigste Basis für ein Kind sind seine glücklichen Eltern und deren Zusammenhalt. Also ist es wichtig, zwischendurch eine Auszeit zu nehmen, um sich als Familie immer wieder neu zu definieren.
Wann (und wie) werdet ihr zurückkommen?
Stefan hat ein Jahr unbezahlte Elternzeit. Früher oder später werden wir daher unser Fahrzeug zurück nach Deutschland verschiffen. Von wo und wann, ist aber noch völlig offen. Natürlich müssen wir dann viele Dinge wie eine Wohnung, einen Kindergartenplatz und so weiter organisieren, aber das liegt noch in weiter Ferne …