KidsAway-FamilieninterviewJakobsweg zu dritt: auf Pilgerpfaden mit Kind und Kegel

Denkt man an Pilger, stellt man sich grauhaarige Damen und Herren mit Wanderstöcken vor - oder allenfalls noch Hape Kerkeling. Aber auch als Familie kann man den Jakobsweg laufen - ohne Probleme und mit viel Spaß!

von KidsAway-Redaktion


Pilgern mit Kind - eine ganz besondere Erfahrung © J. Harms

Pilgern mit Kind - eine ganz besondere Erfahrung

© J. Harms

Frage Jasmin, wie seid ihr auf die Idee gekommen, mit eurem Kind zu pilgern?

Mein Mann Guido und ich sind 2010 den portugiesischen Jakobsweg von Porto über Santiago de Compostela nach Finisterre gegangen. Das war für uns eine überwältigende Erfahrung. Wir sind damals ohne jegliche Erwartungen losgegangen und haben den bis dahin schönsten Urlaub unseres Lebens verbracht. Das Gehen in wunderschöner Landschaft, die Zeit für Gespräche und nicht zuletzt die vielen bereichernden Begegnungen auf dem Camino …  wir waren entschlossen, bald erneut aufzubrechen.

Als ein Jahr später Lennon geboren wurde, legten wir unsere Pilgerpläne zunächst auf Eis, doch schon zwei Jahre später wurde die Sehnsucht so groß, dass wir beschlossen, mit Kind aufzubrechen.

 

Der Jakobsweg zieht schon seit Jahrhunderten Pilger an © J. Harms

Der Jakobsweg zieht schon seit Jahrhunderten Pilger an

© J. Harms

FrageWas unterscheidet denn das Pilgern vom einfachen Wandern?

Wir selbst wussten vor unserer ersten Pilgertour auch nicht, was auf einem Pilgerweg anders ist als auf einem gewöhnlichen Wanderweg, schließlich ist man doch auf beiden zu Fuß unterwegs. Doch während des Laufens haben wir ein Gespür dafür entwickelt, was es bedeutet zu pilgern.

Zunächst einmal pilgert man zu einem Wallfahrtsort, in unserem Fall Santiago. Die Begegnung mit Menschen, die das gleiche Ziel haben, die oft sehr tiefgehenden Gespräche, die Einfachheit der Herbergen und das Erfahren körperlicher Grenzen haben in uns etwas bewegt. Wir durften die Erfahrung machen, dass der Weg jedem genau das gibt, was er gerade am meisten benötigt.

Glauben ist sicherlich etwas sehr Individuelles. Für uns hat sich vor allem der Glaube an das Gute im Menschen gefestigt. Uns ging es wie vielen anderen: Wir sind als Wanderer aufgebrochen, aber als Pilger angekommen.

ErfahrungsberichtDer Jakobsweg ist in Europa mittlerweile ein breites Netz an Wegen, die gut miteinander vernetzt sind und alle nach Santiago de Compostela führen. Einige Menschen beginnen ihren persönlichen Jakobsweg vor der eigenen Haustür und suchen sich ihre eigene Strecke, bis sie schließlich auf einen der ausgeschilderten Pilgerwege gelangen.

Die „offiziellen“ Jakobswege sind mit gelben Pfeilen und Muscheln oder Sonnen markiert, führen an vielen kleinen Kirchen und Kapellen vorbei und greifen möglichst einen historischen Wegverlauf wieder auf – gepilgert ist man schließlich auch schon vor einigen hundert Jahren.

 

Frage Wie sah denn eure Pilgerroute aus?

Wir sind einen Teil der Via Gebennensis gelaufen, die von Genf nach Le Puy führt. In Le Puy beginnt dann wiederum die Via Podiensis, die später in den Camino Frances mündet. Ziel des Weges ist dann Santiago.

Wir haben dieses Teilstück ausgewählt, weil es in Frankreich ein gut ausgebautes Netz an Herbergen gibt, was uns mit Kind viel Flexibilität hinsichtlich der Etappenplanung ermöglicht.

 

Frage Kann man „einfach so“ pilgern oder muss man dafür bestimmte Qualifikationen erfüllen?

Im Prinzip kann man „einfach so“ pilgern, man benötigt allerdings für die Übernachtung in Pilgerherbergen oft einen Pilgerausweis. Darin sammelt man Stempel in Kirchen, Herbergen oder anderen Einrichtungen am Wegesrand, die dann als Nachweis über den gelaufenen Weg gelten. In Santiago bekommt man eine „Compostela“, wenn man anhand der Stempel belegen kann, dass man entweder die letzten 100 Kilometer zu Fuß gegangen oder die letzten 200 Kilometer mit dem Fahrrad gefahren oder auf einem Pferd geritten ist.

TippEinen Pilgerausweis bekommt man von einigen Gemeinden ausgestellt, wobei es empfehlenswert ist, ihn bereits einige Wochen vor Reisebeginn zu beantragen.

 

Lennon hat's am bequemsten © J. Harms

Lennon hat's am bequemsten

© J. Harms

Frage Muss man etwas beachten, wenn man mit Kind pilgert?

Eine Pilgerreise mit Kind bedarf wesentlich mehr Planung! Kinder können im Gegensatz zu uns Erwachsenen schönen Ausblicken nur wenig abgewinnen. Wir sind daher deutlich kürzere Etappen gelaufen und haben auch mehr Pausen gemacht. Außerdem haben wir darauf geachtet, dass die Plätze, an denen wir gerastet haben, kinderfreundlich sind, also beispielsweise an einem kleinen Bach liegen, in den man Steine werfen kann, oder an einer Weide, auf der Tiere stehen, die man dann beobachten kann.

Nachts haben wir zusammen mit anderen Pilgern in den Herbergen in Mehrbettzimmern geschlafen. Lennon hat das nicht gestört, er fand es eher interessant, sich das Zimmer mit vielen Menschen zu teilen. Aber da ist sicherlich jedes Kind individuell, so dass die Eltern abwägen müssen, ob ihr Kind durch die Mitpilger gestört wird bzw. diese stören könnte. Alternativ gibt es am Weg auch Pensionen, Hotels und Campingplätze.

Wir haben ausschließlich positive Reaktionen auf unsere Pilgerreise als Familie bekommen und fanden besonders die Begegnungen mit anderen Pilgern bereichernd.

 

Frage Wie sah eine typische Tagesetappe eurer Pilgertour aus?

Nach dem Aufstehen haben wir gemeinsam mit den anderen Pilgern in der Herberge gefrühstückt und anschließend unseren Rucksack gepackt. Dann sind wir losgegangen. Unterwegs haben wir häufig Pausen gemacht und darauf geachtet, dass Lennons Bedürfnisse ausreichend berücksichtigt werden. Das bedeutete beispielsweise, dass er mittags einen geeigneten Ort zum Schlafen (zum Beispiel unter einem Baum im Schatten) und ausreichend Zeit zum Spielen und Toben hatte.

Unsere Etappenziele haben wir nicht im Voraus festgelegt, sondern immer geguckt, wie es uns (insbesondere Lennon) geht und dann entschieden, wo wir übernachten wollen. Allerdings haben wir immer Orte ausgewählt, in denen es eine Pilgerherberge gab.

In der Herberge haben wir nach der Ankunft zunächst geduscht und Wäsche gewaschen. Danach haben wir oft noch den Ort besichtigt und eingekauft, um in der Herberge unser Abendessen zu kochen. Dort haben wir dann (oft gemeinsam mit anderen Pilgern) gegessen und den Abend gemütlich ausklingen lassen.

 

Manchmal pilgert Lennon auch schon selbst © J. Harms

Manchmal pilgert Lennon auch schon selbst

© J. Harms

Frage Welche Tagesstrecken habt ihr mit Kind zurückgelegt?

Wir sind am Tag zwischen acht und achtzehn Kilometern gelaufen. Zum Vergleich: Ohne Lennon betrug eine durchschnittliche Tagesetappe 20 bis 35 Kilometer.

 

Frage Welche Ausrüstung hattet ihr dabei?

Wir hatten nur das allernötigste dabei, also einmal Wechselwäsche für jeden von uns, Handtücher, Handwaschmittel, einige Kosmetikartikel, die Ausweise und Proviant. Es ist allerdings empfehlenswert, Schlafsäcke mitzunehmen; wir haben zwar aus Platzgründen darauf verzichtet und die Decken der Herbergen benutzt, das war allerdings eher eine Notlösung.

Spielzeug haben wir bewusst nicht mitgenommen. Für Lennon war das Spielen in freier Natur aufregend genug und er hat nichts vermisst.

Durch die Reduzierung des Gepäcks haben wir es geschafft, alles in einem Rucksack unterzubringen. Das war sinnvoll, da einer von uns Lennon in einer Kraxe getragen hat und somit kein zusätzliches Gewicht heben musste.

Bei unserer nächsten Tour wird Lennon im Fahrradanhänger mitkommen, dadurch gewinnen wir auch zusätzlichen Stauraum. Für Familien, die nicht in Herbergen schlafen wollen, kann auch die Mitnahme eines Zelts eine Option sein.

 

Frage Welches Budget sollte man für so eine Pilgerreise einkalkulieren?

Hier gilt als Faustregel: pro Kilometer und Person ein Euro. Das kommt in Frankreich, Deutschland und Spanien ungefähr hin. In Portugal ist es günstiger, in der Schweiz teurer. Die Übernachtungen in den staatlichen Herbergen sind sehr günstig (meist zwischen 3 und 10 Euro pro Person oder auf Spendenbasis), andere Unterkünfte sind natürlich teurer. Für Lennon mussten wir nie zahlen, er hat allerdings auch mit bei uns im Bett geschlafen.

Viel Geld lässt sich auch sparen, wenn man in der Herberge kocht, anstatt essen zu gehen.

 

Frage Hat es Spaß gemacht und werdet ihr das wieder machen?

Es war entspannter als erwartet und eine wunderschöne Reise. Und ja, wir werden wieder aufbrechen – die Planungen für die nächste Tour sind schon in vollem Gange!


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