Reisebericht SüdafrikaMit Kind spontan in die Ferne
Heute noch Deutschland, übermorgen Südafrika – Schnapsidee oder machbar? Eine Familie reist kurz entschlossen mit einem Kleinkind ins Regenbogenland. Ohne Vorbereitung und Plan. Ein Abenteuer.
von Kerstin
Mit dem Jeep und Kind durch die Wildnis
© Kerstin
„Ihr seid verrückt!“, entfährt es unseren Freunden, als wir sie spät abends anrufen. Noch vor wenigen Stunden saßen wir gemeinsam beisammen und schmiedeten Pläne für die kommende Woche. Und nun würden wir übermorgen mit unserem Sohn Paul nach Südafrika fliegen.
Eigentlich wollten wir diesen Sommer zu Hause verbringen. Paul, vor Kurzem zwei Jahre alt geworden, hatte gerade seinen letzten Kinderkrippentag hinter sich. Wir freuten uns auf drei unbeschwerte Wochen im heimischen Garten. Die Fußballweltmeisterschaft und damit verbunden gesellige Treffen mit Freunden sowie das gute Wetter versprachen viel Abwechslung. Und dann kam alles ganz anders.
Es ist Samstagnachmittag. Im Fernsehen läuft das WM-Fußballspiel Deutschland-Argentinien. Die deutsche Mannschaft spielt überragenden Fußball. Das Spiel endet mit einem verdienten Sieg für die deutsche Elf. Spontan frage ich meinen Mann: „Wollen wir uns das nächste Spiel nicht live im Stadion anschauen?“ Carsten strahlt ungläubig über das ganze Gesicht und stimmt sofort zu. Wir haben die kommenden drei Wochen frei, Paul hat Ferien. Warum also nicht?
Spontan mit Kind nach Südafrika: ein bisschen verrückt
Wir setzen uns an den Computer und tippen „Durban WM-Tickets“ ein: Bei Ebay gibt es noch zwei bezahlbare Eintrittskarten für das nächste Halbfinale-Spiel! Noch schnell ein Blick auf die Website des Auswärtigen Amts zur Sicherheitslage und auf eine Flugbuchungsseite – alles bestens, nichts spricht gegen die Spontanreise nach Südafrika.
Ein weiterer Klick, und die WM-Tickets gehören uns. Prima, jetzt fehlen nur noch die Flugtickets und eine Unterkunft im Austragungsort Durban. Aber zuerst muss noch ein Reiseführer her. Also flitze ich um halb acht abends noch schnell in die Innenstadt und kaufe zwei Minuten vor Geschäftsschluss einen Südafrika-Reiseführer. Spät in der Nacht von Samstag auf Sonntag buchen wir den Flug: Bereits einen Tag später soll es losgehen!
Die Zeit drängt. Am Sonntagmorgen beginnen wir mit der Detailplanung. Plötzlich kommen uns viele Fragen: Was machen wir mit Paul während des Spiels? Soll er mit ins Vuvuzela-lärmende Fußballstadion oder gibt es eine bessere Lösung? Wo finden wir noch eine Schlafmöglichkeit im offenbar seit Wochen ausgebuchten Durban?
Die leichteren Fragen sind: Wer passt auf unser Kaninchen auf, wer sprengt den Rasen, wer kümmert sich um die Post? Bereits vereinbarte Termine müssen kurzfristig verschoben werden, und zu allem Überfluss braucht Carsten noch einen internationalen Führerschein, um in Südafrika einen Mietwagen zu fahren.
Montagmorgen. Bis zum Abflug sind es nur noch wenige Stunden. Carsten ist auf der Führerscheinstelle, ich packe endlich die Koffer! Es ist schon seltsam, wie viel man in 36 Stunden Vorbereitungszeit organisieren kann, wenn man keine andere Wahl hat. Um zwölf Uhr mittags steigen wir erschöpft, aber glücklich und sehr aufgeregt in den Zug zum Flughafen. Für Paul haben wir einen Gehörschutz im Gepäck. Für die erste Nacht in Durban kommen wir in einer kleinen Herberge unter, für die Nacht des Fußballspiels haben wir noch keine Bettstatt. Wir denken uns: „No risk, no fun!“
Im Flugzeug ist endlich Zeit, im Reiseführer zu schmökern. Im Crashkursverfahren lernen wir Südafrika kennen. Ich lese von einer Brillenpinguinkolonie südlich von Kapstadt und Carsten wünscht sich einen Abstecher in die Weinregion. Paul möchte gerne Elefanten und Affen sehen. Nördlich von Durban gibt es Malaria, der Rest des Landes ist, wie praktisch und kleinkindfreundlich, malariafrei. Und Dutzende von Privat- und Nationalparks locken mit Naturerlebnissen und Fotosafaris. Im Kopf stellen wir bereits unsere Reise zusammen.
Was folgt, ist eine von starken Kontrasten geprägte, herrliche Rundreise: Warme Tage und kühle Nächte, karge Wüstenlandschaft und Schnee bedeckte Berge, raues Meer, weiße Sandstrände, moderne Städte, ärmliche Townships, wilde Tiere, Gourmet-Essen mit prämierten Wein und dazu noch ein Potpourri kinderfreundlicher Menschen jeglicher Couleur.
Im Fußballstadion mit Hörschutz
Toben mit Hörschutz im Stadion
© Kerstin
Mit Paul im Buggy laufen wir am Abend zum Fußballstadion. Pauls Augen glänzen – das gleißende Licht, die singenden Menschen, die den Rhythmus vorgebenden Trommeln und nicht zuletzt die lauten Vuvuzelas. Den mitgebrachten Hörschutz behält er zu unserer Freude bereitwillig den ganzen Abend auf dem Kopf. In der Halbzeit läuft Paul zwischen den Stuhlreihen hin und her und posiert für unzählige Fotos in seinem Deutschland-Trikot. Um elf Uhr nachts rollen wir drei müde, aber gut aufgelegt zurück zum Wohnheim.
Am Strand finden sich schnell erste Freunde
© Kerstin
„He´s got a lot of energy!“, sage ich entschuldigend zu dem älteren Herr am Nebentisch, als Paul in einem Café mit einem neuen Freund herumtobt. „How lovely!“, erwidert der Mann lächelnd. Ein Satz, den wir auf der weiteren Reise noch oft hören werden.
Dank Paul finden wir überall schnell Kontakt. Die Menschen sind vernarrt in den kleinen Jungen mit den blonden Haaren. Er darf überall toben, jauchzen und jubeln, ohne dass sich jemand daran stört. Für uns als Eltern ist dies eine neue Erfahrung.
Elefanten haben Vorfahrt
Elefanten haben Vorfahrt
© Kerstin
Unsere Unterkunft am Eingang des Parks, eine gemütliche Holzhütte, hat keine Heizung. Normalerweise schläft Paul in seinem Reisezelt, aber nicht in dieser Nacht. Es ist bitterkalt. Schließlich ist in Südafrika gerade Winter. Wir kuscheln uns mit Paul in der Mitte unter der dicken Federdecke eng aneinander. Trotzdem sind wir froh, als die Nacht endlich vorbei ist.
Wir haben Glück, am nächsten Morgen scheint wieder die Sonne. Wir fahren zum nahe gelegenen Addo Elephant National Park. Hier leben neben mehr als 400 Elefanten auch Büffel, Nashörner und Löwen. Er gilt als einer der schönsten Nationalparks Südafrikas.
Mit unserem Mietwagen gehen wir im Schneckentempo auf Erkundungstour. Paul darf vorne zwischen uns sitzen. Links und rechts neben der holprigen Schotterpiste und in der Ferne sichten wir Kuhantilopen, Warzenschweine, Büffel, Zebras, Kudus, einen Löffelhund, Strauße und Fischreiher. Als der erste Elefant direkt neben unserem Auto aus dem Gebüsch auftaucht, krabbelt Paul schnell auf den Hintersitz und lugt schüchtern zwischen den Sitzen hervor. Langsam trottet der riesige Elefant vor unserem Auto her.
Aufgeregt und mit roten Wangen fasst Paul Mut und klettert wieder auf den Vordersitz. Vor lauter Begeisterung vergisst er sogar seinen Mittagschlaf. Am Abend fallen wir erschöpft ins Bett.
Von Affen und „Gir-Affen“
Aug in Aug mit einer Giraffe (Jeepsafari im Buffalo Hills Game Reserve)
© Kerstin
In der Dämmerung erreichen wir die Buffalo Hills Lodge. Unser Zuhause für eine Nacht ist ein luxuriöses, 150 Jahre altes Cottage. Wenig später sitzen wir gemütlich bei einem Glas Rotwein mit unseren Gastgebern Carmen und Tony am Lagerfeuer. In der Glut gart unser Abendessen. Am folgenden Morgen nimmt uns Tony mit auf eine Pirschfahrt im Jeep durch sein Wildreservat.
Wo sind die Giraffen? Paul ist ganz ungeduldig. Wir sehen Kudus, Gnus, Impalas. Da endlich – auf der anderen Seite des Flussufers entdecken wir die stolzen Tiere. Paul ruft: „Große Gir-Affe!“
Auge in Auge mit dem Strauß
Die größte Attraktion ist für Paul unser Besuch auf einer Straßenfarm in der Nähe von Oudtshoorn. Die Straußenmetropole liegt mitten in der Karoo-Halbwüste. Unser deutscher Gastgeber Dario nimmt uns mit zur Straußenfütterung. Er stoppt an einer Weggabelung. Etwa zehn einheimische Kinder klettern zu Carsten auf die offene Ladefläche – ärmlich bekleidet, neugierig und mit einem entwaffnenden Lächeln. Der Pickup brettert über die Schotterpiste. Vom Fahrtwind zerzaust, gut durchgerüttelt und frierend erreicht Carsten die Weide. Ich sitze derweil mit Paul im warmen Fahrerhäuschen.
Paul, auf meinem Arm sitzend, jauchzt und lacht vor Freude. In mir hingegen steigt leichte Panik auf. Wir sind umringt von einer aufgeregten Straußenherde. Die Vögel picken eifrig die Maiskörner, die sich in dem Eimer in meinem Arm befinden. Wir schauen uns in die Augen. Die verfilzten Hälse, die fedrigen plumpen Körper, das Feder- und Hälsemeer droht uns fast zu erdrücken. Einer tritt mir auf den Fuß, er ist schwer wie Blei. Paul amüsiert sich prächtig. Noch lange wird er zuhause von diesem Erlebnis erzählen. Am Abend probieren wir Straußensteak, zum Frühstück am Morgen Straußenrührei.
Dinieren und degustieren
Das Gourmet-Örtchen Franshoek glüht in der Abenddämmerung
© Kerstin
In der Dämmerung überqueren wir endlich den Pass. Vor uns öffnet sich ein Tal, in der Abendsonne breitet sich das kleine Städtchen Franschhoek vor uns aus. Wir sind am Ziel. Uns knurrt der Magen, wir sind müde. Im Dunkeln klopfen wir an die Tür eines kleinen Hotels. Wir sind die einzigen Gäste! Die Hausdame macht ein Feuer im Kamin und ruft den Koch. Wir genießen ein Abendessen der Extraklasse mit prämiertem lokalem Wein in feinster Umgebung. Später schlummert Paul in seinem Bettchen, während wir es uns vor dem offenen Kamin gemütlich machen.
Franschhoek heißt auf Afrikaans „Französisches Eck“. Das Örtchen wurde von Hugenotten gegründet und liegt mitten in der Weinregion. Acht der 100 besten südafrikanischen Restaurants befinden sich hier. Eines dieser Sternerestaurants besuchen wir am Mittag. Die Vorspeise verschläft Paul in seinem Buggy. Als er aufwacht, bringt ihm die freundliche Kellnerin einen Kinderhochstuhl und uns die extra Kinderkarte.
Pinguine leben gefährlich
Pinguine leben gefährlich - und verstecken sich besonders gern unter parkenden Autos
© Kerstin
Doppeldeckerbus und Gondelbahn
In der ersten Reihe: Entdeckertour mit dem Doppeldeckerbus durch Kapstadt
© Kerstin
Paul sieht die blaue Gondel und kann es kaum erwarten, mit ihr auf den 1086 Meter hohen Tafelberg zu fahren. Das Panorama ist atemberaubend. Wolkenfrei liegt Kapstadt zu unseren Füßen.
Am Hafen gesellen wir uns zu Dutzenden von Südafrikanern und Touristen, die am Wasser spazieren gehen und den Straßenmusikanten lauschen. Paul braucht keinen Spielplatz. Egal, wo er ist, er findet immer eine Rampe, die er hoch und runter laufen kann oder ein Mäuerchen zum Raufklettern.
Keinohrhasen und keine Wale
Fußweg auf den Klippen von Hermanus - alles Kinderwagen tauglich
© Kerstin
Weniger aufgeweckt ist Paul auf unserer Walbeobachtungstour. Die Gischt schlägt gegen das Boot, die Luft schmeckt nach Salz. Wir werden ordentlich durchgeschüttelt. Paul verschläft fast die gesamte Tour. Wale sieht er keine. Nun sind wir schlauer – in Zukunft werden wir keinen Ausflug mehr in seine Schlafenszeit legen. Immerhin haben Carsten und ich die Wale gesehen. Die Küste von Hermanus ist einer der besten Walbeobachtungsplätze der Welt.
Zwei Wochen in Südafrika sind wie im Flug vergangen. Wir wollen es kaum wahrhaben. Wir haben viel gelacht und auch einmal gestritten. Wir waren gemeinsam im Fußballstadion, haben Elefanten gesehen, Giraffen bewundert, Strauße gefüttert, Pinguine besucht. Wir haben eine Halbwüste durchquert, die Sterneküche getestet, die Weinregion erkundet.
Wir haben fremde Städte erlebt, unglaublich nette Menschen kennen gelernt und vor allem viel Zeit miteinander verbracht. Zuhause in Deutschland haben wir jetzt ein neues gemeinsames Ritual: Jeden Abend fordert Paul, dass wir uns vor dem Schlafengehen gemeinsam sein neues Afrika-Bilderbuch anschauen. Auch Wochen nach der Reise kann er noch alle Tiere benennen.
Ich wünschte wir wären ein klein wenig mutiger: das Leben nehmen wie es kommt und nicht soviel kostbare Zeit mit Hadern und Warten vergeuden. Perfekt! Mein größter Respekt!! Toll!
Wow, klingt das schön! Ihr habt ja so recht – einfach mal losfahren, anstatt ewig hin und her zu überlegen…
Danke für den tollen Bericht!