Außergewöhnliche Familien auf ReisenKidsAway-FamilieninterviewMit drei Kindern im Wohnwagen unterwegs – ohne Rückkehrdatum
Einfach alle Zelte abbrechen und mit einem Wohnwagen losfahren, wohin man gerade Lust hat und so lange, wie man mag? Davon träumen nicht wenige Familien. Verena und ihr Mann Jochen haben den Schritt gewagt und sind jetzt die "Travelfamily".
Teil 11 von 15 der Serie Außergewöhnliche Familien auf Reisen
von KidsAway-Redaktion
Die "Travelfamily" - unterwegs in die Freiheit
© Travelfamily.de
Was die „Travelfamily“ zu ihrer mutigen Entscheidung bewegt hat und was sie seitdem erleben, erzählt uns Verena im KidsAway-Familieninterview.
Wie kam es zu eurem Reiseprojekt?
Keine einfache Frage! Es war wohl ein schleichender Prozess, der uns letztendlich zu dieser „Auszeit“ bewegt hat. 2014 hat sich Jochen beruflich verändert und wir haben im Unterallgäu ein neues Haus gebaut. Während des Baus nutzten wir die Zeit für eine fast dreimonatige Reise mit einem Wohnwagen. Da die Jungs in der Schule sehr gute Noten hatten, konnten wir sie beurlauben. Schwer konnten wir uns hinterher wieder an das Leben in einer Neubausiedlung gewöhnen. Die gewonnene Freiheit, keine fixen Termine mehr zu haben, den ganzen Tag als Familie zu erleben, kann man kaum in Worte fassen.
Früher träumten wir lange davon, nach Südafrika auszuwandern – leider waren wir nicht mutig genug. Diese Mischung aus früheren schlechten Erlebnissen, die nicht ganz verarbeitet sind, verbunden mit dem Traum, ein paar Jahre im Ausland zu leben, und der wunderbaren Zeit im Wohnwagen – das führte uns im Ergebnis dahin, wo wir uns jetzt im Moment befinden.
Welche Reaktionen gab es von Verwandten und Bekannten? Was haben eure Kinder dazu gesagt?
Um es kurz zu sagen: Begeistert war keiner! Unsere Eltern machten sich in erster Linie Sorgen um die Schulbildung der Enkelkinder. Julian hatte ein Einser-Übertrittszeugnis für das Gymnasium – und ein paar Wochen später melden wir ihn ab! Das hat uns auch lange zweifeln lassen, ob wir alles richtig machen.
Mittlerweile haben sie gelernt, besser damit umzugehen. Abseits von geregelten Arbeitszeiten, in „nur“ einem Wohnwagen zu leben oder nicht zu wissen, wo wir in zwei Wochen sein werden, ist ja nicht alltäglich. Bestimmt auch mit Stolz lesen sie unsere Internetseite und erzählen Bekannten darüber.
Die Kinder waren von Anfang an mit großer Begeisterung dabei. Ich glaube, sie fühlen sich dort wohl, wo auch wir gerade sind!
Ihr habt Kinder im Schulalter – wie regelt ihr das mit der Schulpflicht, wie und was lernen eure Kinder unterwegs?
Die beiden schulpflichtigen Kinder und ich haben unseren Wohnsitz in Deutschland abgemeldet. Da wir nach unserer Reise gern länger in ein englischsprachiges Land gehen wollen, haben wir uns diesmal nicht um eine Freistellung bemüht.
Kein Wohnsitz in Deutschland – keine Schulpflicht!
Wie wir unterwegs genau lernen werden, kann ich noch nicht genau sagen. Wir sind erst einen Monat unterwegs und müssen noch unseren Rhythmus finden. Wir haben alle Schulbücher vom Gymnasium erhalten, nach diesem Lehrplan werden wir in Mathematik, Deutsch und Englisch vorgehen. Für Benni haben wir fast alle Schulsachen vom großen Bruder. Da er momentan unbedingt Englisch lernen will, lernt er einfach mit Julians Schulbüchern mit.
Wir versuchen, nach dem deutschen Lehrplan zu arbeiten. Allerdings nehmen wir uns die Freiheit, uns die Zeit einzuteilen, wie und wann wir lernen. Sollten die Jungs tatsächlich ein Schuljahr verlieren, würden wir es in Kauf nehmen. Benjamin haben wir ein Jahr zu früh eingeschult, da wäre das gar kein Problem. Mit Julian haben wir darüber gesprochen. Da er hinterher mit Sicherheit nicht in die gleiche Schule gehen wird wie bisher, war es kein Problem für ihn.
Die Kinder interessieren sich momentan sehr für Erdkunde, Autokennzeichen und Tiere, die im Meer leben. Sie nehmen so viele neue Eindrücke auf – das muss erst mal verarbeitet werden.
Dass sie im Moment nur freiwillig Englisch lernen und sich für nichts anderes mehr begeistern lassen, bringt mich nicht aus der Ruhe. Wenn Benni stolz einem englischen Lehrer-Ehepaar, das wir in Budapest kennengelernt haben, seine ersten Sätze vorträgt, ist das Beruhigung genug für uns. Dieser Mut zählt für uns genauso, wie zwei Stunden Mathe zu lernen.
Jetzt seid ihr schon einige Wochen unterwegs. Wie fühlt es sich an?
Abschied vom festen Zuhause
© Travelfamily.de
Den ganzen Tag miteinander zu verbringen, alle Wünsche unter einen Hut zu bringen und doch einen geregelten Tagesablauf einzuführen, war anfangs nicht leicht. Die vielen unterschiedlichen Kulturen kennenzulernen, Eindrücke aufzunehmen und fremde Länder zu sehen, ist für alle aufregend. Mittlerweile ist das Wohnen im Wohnwagen annähernd genauso für uns, als ob wir in einem normalen Haus wohnen würden.
Wir genießen die unvorhersehbaren Momente, freuen uns über all die neuen Kontakte und sind dankbar über jeden Augenblick, den wir gemeinsam unterwegs erleben. Wir sind froh über unseren Mut und würden nochmal genau so entscheiden.
Was sagen eure Kinder zu ihrem „neuen Leben“?
Für die Jungs ist es ein großes Abenteuer. Den ganzen Tag von morgens bis abends in der Natur zu verbringen, das genießen sie sehr. Aufregende Momente wie freilaufende Kühe an der Schnellstraße in Rumänien oder Schlauchbootfahren im Plattensee, all das macht ihnen große Freude. Mittlerweile fangen sie an, die Route mitzuplanen und Wünsche zu äußern, wenn Sehenswürdigkeiten ausgesucht werden.
Schwierig war es zunächst nur, ihnen nahezubringen, dass auch auf Reisen die Bettzeiten ähnlich eingehalten werden wie früher. Auf den Übernachtungsplätzen ist oft bis 23 Uhr „Halligalli“ – da waren sie nur schwer in den Wohnwagen zu locken.
Und unser Jüngster? Der ist zufrieden, wenn er ein wenig Wasser zum Plantschen hat, selbst wenn es nur unsere Spülschüssel ist.
Hattet ihr zwischendurch auch mal Angst vor eurer eigenen Courage?
Nicht nur einmal! Es ist anfangs gewiss ein komisches Gefühl, kein Haus mehr zu besitzen. Aber wir haben ja unseren Wohnwagen – und darin fühlen wir uns im Moment absolut wohl. Falls wir unsere Langzeitreise doch eher abbrechen wollen oder müssen, dann entscheiden wir im Familienrat, wo wir uns niederlassen und einen Neuanfang starten werden.
Wir lassen unsere Familienwünsche reifen, um hinterher unser Leben noch einmal ganz von vorn zu beginnen. Wir träumen von einem eigenen Camping-Stellplatz auf einem riesigen Grundstück mit Tieren, Baumhäusern und Abenteuerspielplätzen. Aber auch ein einfaches Cottage in Irland würde uns gefallen! Wir freuen uns einfach auf das, was das Leben uns bringen wird.
Wie läuft ein normaler Reisetag bei euch ab?
Alltag auf der Wohnwagen-Reise
© Travelfamily.de
Stehen Unternehmungen an, ziehen wir wegen der Hitze am Vormittag los. Nachmittags sind wir meistens am Stellplatz und machen es uns gemütlich. Oft bekommen wir einen Rasensprenkler für die Kinder oder wir füllen unser kleines Schlauchboot mit Wasser.
Wir lesen, spielen, suchen nach Tieren… Oder die Jungs zeichnen, das ist ihr liebstes Hobby. Wenn wir andere Kinder treffen, spielen sie Fußball oder Polizei. Kommt ein netter Nachbar vorbei und erzählt uns von riesigen Fröschen hinter dem Grundstück, kann es durchaus sein, dass wir am Abend den Schlafanzug noch einmal ausziehen und losmarschieren.
Wir planen Ausflüge genauso, als ob wir sie von einem festen Zuhause aus machen würden. Wir kochen wie andere auch und erledigen Hausarbeit. Zu meiner Freude ist das natürlich viel, viel weniger als vorher.
Planen wir eine Fahrt zum nächsten Ziel, fahren wir oftmals über Mittag, damit Maxi im Auto seinen Mittagsschlaf machen kann. Wir versuchen, nie länger als vier Stunden zu fahren. Ich sitze dann hinten bei den Großen und wir lernen. Mal sind es Vokabeln, mal üben wir das Einmaleins. Sehen wir die Dolomiten, beschäftigen wir uns damit. Fahren wir zum Plattensee, informieren wir uns, wie groß er ist und wo er genau liegt.
: Die Frage wird euch bestimmt sehr oft gestellt: Wie finanziert ihr das?
Wir haben uns nach dem Hausverkauf ein Reisebudget beiseite gelegt. Das wollen wir aber nur im Notfall angreifen. Wir basteln aus Schwemmholz kleine Figuren, die wir am Strand an Touristen verkaufen wollen. Auch mit Reiseberichten und unserem Amazon-Partnerprogramm können wir ein paar Euro verzeichnen, und wir werben für eine Kreditkarte, die wir auch selbst benutzen.
Für Maxi erhalten wir Kindergeld, Jochen kann von unterwegs ab und zu arbeiten. Aber vor allem leben wir sehr sparsam. Wir besuchen so gut wie keinen Campingplatz. Wir waren bisher nur auf günstigen Stellplätzen, manchmal bekommen wir den Aufenthalt gratis, wenn wir ihn dafür auf unsere Internetseite aufnehmen. Kleidung habe ich auf Vorrat mitgenommen. Im Süden reicht einfach eine kurze Hose – die Lebenshaltungskosten sind viel geringer.
Bislang funktioniert es sehr gut. Wenn wir uns erlauben, auswärts zu essen, müssen wir in unsere Reisekasse greifen. Auch manche Eintritte fallen sehr ins Gewicht. Wir haben aber zum Beispiel keine GEZ-Gebühren, keine Müllabfuhrkosten, keine Zeitungsabos… Da kommt eine große Summe zusammen, die wir uns momentan sparen.
Wie sehen eure Zukunftspläne aus – wohin geht es in den nächsten Wochen und Monaten?
Wir haben keinen genauen Zeitplan. Momentan sind wir in Rumänien und wollen in Richtung Schwarzes Meer. Von dort aus geht es an der Küste von Griechenland und Kroatien zurück nach Italien. Für den Winter schwebt uns ein Aufenthalt in Spanien, Portugal oder Marokko vor. 2016 zieht es uns nach England, Schottland, Irland, Norwegen… Wir schauen einfach, wie weit wir kommen.
In Irland würden wir gern länger verweilen, um perfekt Englisch zu lernen. Wir haben einige Einladungen von Freilernern bekommen, das hat unsere Neugierde ziemlich geweckt!
Danke für das Interview, liebe Verena – wir wünschen euch eine gute Reise, egal wohin sie euch führt!
Ist dieser Artikel lesenswert?
Die komplette Serie Außergewöhnliche Familien auf Reisen
- Teil 1: Mit Lkw und Kind auf der Straße des Lebens
- Teil 2: Eine globale Familie auf Weltenbummelei
- Teil 3: Mit Baby im Fahrradanhänger durch Neuseeland
- Teil 4: Die Reise-Profis – mit Teenagern unterwegs
- Teil 5: Mit drei Kindern im Lkw durch Südamerika
- Teil 6: Mit Lola und Nanuk um die Welt
- Teil 7: Mit Fahrrad und Anhänger durch Südostasien
- Teil 8: Einmal um die Welt – für wenig Geld
- Teil 9: Allein mit Kind um die Welt – na klar!
- Teil 10: Weihnachten unter Palmen – vier Schweizer grüßen aus Thailand!
- Teil 11: Mit drei Kindern im Wohnwagen unterwegs – ohne Rückkehrdatum
- Teil 12: Reisen mit schulpflichtigen Kindern: unsere Erfahrungen als Freilerner-Familie
- Teil 13: Allein reisen mit Kind? Nein, allein reisen mit Mama!
- Teil 14: Was kostet eine Weltreise mit Kindern? Wir rechnen nach
- Teil 15: Allein mit Kind von Nepal durch Südamerika
Wie macht ihr das mit dem Kindergeld, bekommt man das denn auch wenn man von Deutschland abgemeldet ist?
Na nu, die Webseite der Familie ist nicht erreichbar. Ist der Traum schon zu Ende? Wisst ihr, was da los ist? LG, Nina
Das ist bestimmt nur ein kleiner Schluckauf. Soweit wir wissen, sind Verena und ihre Jungs wieder sesshaft geworden, haben sich einen kleinen Hof gekauft und bieten ab dem Sommer dort Wohnmobil-Stellplätze für reisende Familien an – haben sozusagen die Seiten gewechselt 😉 Auf Facebook kannst du sie auf jeden Fall erreichen!
LG, Jenny
Heee cool zu sehen, das immer mehr Eltern für ein freies, unabhängiges Leben ihrer Kinder sorgen. Wir sind auch dabei, ein ortsunabhängiges Leben aufzubauen. Wir wollen, dass unsere Kinder (Jamie 5 Jahre und Julie 20 Monate) die Welt mit eigenen Augen sehen und nicht aus Büchern. Wir waren gerade 5 Wochen in Indonesien und in 2 Wochen geht es mit dem Caravan für 2 Monate um die Mittelmeerinseln.
Ist ne coole Sache. Aber was ist mit der Schule der älteren beiden Jungs? Und Krankenversicherung?
Wir reisen auch mit unseren sieben Kindern…allerdings schon seit vielen Jahren. Auch wir waren dieses Jahr in Rumänien (und 13 weiteren Ländern). Ein tolles Land.
Wir können uns kein anderes, statisches Leben mehr vorstellen 🙂